Reinhild Gerum

Mein Körper gehört doch mir

Beitrag zur Ausstellung
körper? ein anderer blick auf ein altes thema
in der Städtischen Galerie Rosenheim 2004


Selbstverletzung bis hin zur Selbstverstümmelung ist ein Phänomen, das weltweit in den verschiedenen Kulturen besonders Frauen betrifft. Ohnmächtig haben sie keine andere Möglichkeit der Artikulation.

Seelisches Leid wird in körperlichen Schmerz verwandelt: Selbstmissbrauch als Befreiungsschlag. Jede Art von Autoaggression ist recht, wie z.B. das Ausdrücken von Zigaretten auf der eigenen Haut, das Ritzen der Haut mit Messern, das Reiben der Haut, bis Blut austritt usw.

Die Unversehrtheit des eigenen Körpers zu zerstören erschreckt und lässt ahnen, wie groß die innere Leere sein muss.

Das Drahtgeflecht soll den Betrachter anlocken und einen schimmernden Körper, der halb verborgen im Innern ist, der Entdeckung preisgeben. Seine Rätsel werden aber über das Gehör gelüftet, zarte Stimmen berichten von den Selbstzerstörungen. R.G.

Mein Körper gehört doch mir
Installation
2004
   
Reinhild Gerum

Luzia
Beruflich bin ich ganz gut gewesen, zuverlässig. Es gab keine Beanstandungen; ich habe meine Abwasserproben genommen und war dann im Labor, eigentlich hatte ich kaum mit Menschen zu tun. Wenn ich ins Büro kam, weil ich einen Kaffee trinken wollte, fingen die anderen an zu lachen, so kam es mir vor. Ich ging nur noch ins Büro, wenn es unbedingt sein musste.

Ab und zu drückte ich meinen Kugelschreiber ganz tief in meinen Arm. Das tat ganz schön weh, manchmal auch noch am nächsten Tag, wenn ich im Fleisch herumgepult hatte. Am Wochenende wusste ich nie, was ich tun sollte. Ich hatte immer mehr Angst vor dem Wochenende, das fing schon am Freitag an, so gegen Mittag; einer nach dem anderen ging nach Hause, aber ich wollte gar nicht nach Hause. Nach einem Wochenende hatte ich einmal eine große Wunde am Handgelenk, weil ich so herumgestochen habe, und ich machte mir einen Verband herum. Da fragten dann alle, was mir passiert ist, und luden mich zu einem Kaffee ein. Ich sagte natürlich, dass ich einen kleinen Unfall gehabt hätte. Innerlich schämte ich mich, weil ich ja gelogen hatte und selbst schuld war, dass ich meine Hand kaum bewegen konnte. Alle halfen mir und fragten immer wieder nach. So ging das weiter, einmal am Arm, einmal am Bein, und es ging mir immer schlechter. Überall hatte ich Wunden und alle wichen mir aus, ich wollte mich umbringen, weil ich nicht mehr leben wollte.



Ophelia
Meiner Arbeit zuliebe zog ich um. Meine Eltern waren sehr beschäftigt mit dem Geldverdienen, was immer wichtiger wurde, aber es gab ja plötzlich alles Mögliche zu kaufen. Es war eigentlich egal, wo ich wohnte, allein war ich sowieso. Ab und zu trank ich Schnaps, da wird man schnell betrunken und alles ist leichter. Aber in der Arbeit war alles schwieriger und ich ging einfach nicht mehr hin. Das mit der Miete war auch schwierig, weil ich kein Geld hatte. Als es dann ganz schwierig wurde, ging ich nicht mehr hin. Jetzt hatte ich nur noch ein paar Klamotten und musste schauen etwas zum Futtern zu haben. Ich war oft ganz schön blau, ein Tag war wie der andere, aber das war mir egal. Irgendwann fing ich an mich zu kratzen, ganz ohne dass es mich juckte, und hörte nicht mehr auf, bis ich blutete, und ich hörte immer noch nicht auf, sondern machte an einer neuen Stelle weiter, immer weiter...


Reinhild Gerum ©2012