Ich konnte nicht mehr reden vor Angst
Beitrag zur Ausstellung Zeitstörung im Städtischen Museum Gorzow, Polen 2007
Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist weltweit verbreitet.
Welche Möglichkeiten bleiben einer Frau, die nach einer Vergewaltigung ein Kind erwartet? Wie kann eine Frau wieder in die Rolle der Agierenden treten? Wie reagieren auf ein Kind wider den eigenen Willen - abtreiben, sich selbst umbringen oder das Kind zur Welt bringen? Seelisch und körperlich verletzt kann keine Frau nach einer Vergewaltigung einfach weiterleben wie bisher. Scham und Angst werden zu ständigen Begleitern; sie muss sich schützen.
Eine glänzende Folie umhüllt ein Geflecht aus Draht, in welchem eine große beschriebene Milchglasscherbe liegt. In den drei Geschichten von Vergewaltigungen, die zu lesen sind, wählen die Frauen jeweils eine der drei Möglichkeiten.
Um überleben zu können, verschließen Frauen ihre Schrecknisse in der Tiefe ihres Seins und können jahrzehntelang völlig unauffällig leben, obgleich ein solches Erlebnis prägt und niemals aufhört zu wirken. R.G.
Eins
Nachts waren wir unterwegs, tagsüber ruhten wir uns aus.
Wir versuchten uns zu verstecken, im Wald, am besten in
irgendeiner Hütte. Es war ja Winter und ziemlich kalt. Als
wir im Wald dann ein richtiges kleines Steinhaus fanden
waren wir froh und beschlossen wenigstens einen Tag
zu bleiben, weil uns allen dreien die Füße wehtaten. Wir
heizten nicht ein, damit wir uns nicht verrieten, und verkrochen
uns in ein Erdloch unter der Küche, wie die Leute früher
Kartoffelkeller im Haus hatten. Ich schlief sofort ein.
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, ob es Tag
oder Nacht war, aber ich erwachte durch einen Knall, dann
hörte ich Stimmen, die nicht in meiner Sprache redeten.
Es war stockdunkel in diesem Loch und ich hörte nur das
aufgeregte Atmen meiner Tante und meiner Cousine. Die
Geräusche waren direkt über uns. Da musste meine Tante
niesen. Die Geräusche, die Stimmen wurden unerträglich
laut, von der Klappe her kam Licht, dann waren die Männer
schon unten, schauten uns kaum an, packten mich
und zerrten mich nach oben. Sie warfen mich auf den
Küchenherd, rissen an meiner Kleidung herum und dann
stieß einer auch schon mit seinem, mit seinem, mit... zu
und dann der nächste und dann der dritte. Und während
ich meine Tante schreien hörte, warf mich einer hinaus
vor die Tür und zielte auf mich. Sie trieben uns in den Wald
und wir wussten nicht, wo wir waren, und ich hatte furchtbare
Angst, ich konnte gar nicht reden vor Angst.
Ich merkte dann irgendwann, dass mit mir etwas anders
war: ich schwitzte und die Brust war so empfindlich, mir
war schlecht und außerdem war meine Blutung nicht gekommen.
Immer, wenn mich dieses Entsetzen packte, lief
ich besonders schnell und wollte nicht daran denken. Trotz
meiner Erschöpfung, wir schliefen immer nur ganz kurz,
war ich plötzlich hellwach vor Gewissheit. Die anderen
schliefen, ich lief weg, fand einen Prügel und stieß mich
immer wieder in den Bauch - ganz lange. Es tat so weh und
ich biss die Zähne aufeinander, bis ich nicht mehr konnte.
Die anderen fanden mich, halfen mir auf und trieben mich
zur Eile an und ich stolperte mit. Ich hatte Schmerzen, das
Blut lief mir zwischen den Beinen herunter, alles in mir und
an mir war Schmerz.
Zwei Ich konnte gar nicht reden vor Angst. Ich merkte dann irgendwann, dass mit mir etwas anders war: ich schwitzte und die Brust war empfindlich, mir war schlecht und außerdem war meine Blutung nicht gekommen. Immer wenn mich dieses Entsetzen packte, lief ich besonders schnell und wollte nicht mehr daran denken. Trotz meiner Erschöpfung, wir schliefen immer nur ganz kurz, war ich plötzlich hellwach vor Gewissheit. Die anderen schliefen, ich erhob mich und lief auf einem kleinen See zu, hinein ins Wasser. Meine vielen Kleider, die ich anhatte zogen mich herunter und da war ich ganz selig. Mein Verlobter winkte mir zu und ich wollte zu ihm hin, da spürte ich um mich das eiskalte Wasser, das mich hinderte, mich schnell auf ihn zuzu bewegen. Da packte mich ein Todesentsetzen. Er aber hatte diese Mühe nicht; er kam her zu mir, legte den Arm um mich und führte mich dann auf eine Wiese, mitten im Dunkeln war es da ganz hell. Mein Körper war ganz leicht und die Grashalme kitzelten meine Fußsohlen ganz angenehm. So selig wollte ich bleiben.